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Wahldiskussion in Neuwied: Vor allem Rüddel muss sich vor Kritikern rechtfertigen

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Ihm gegenüber bauten die Bürger den größten Rechtfertigungsdruck auf. Seine Aussage, dass es uns heute besser gehe als unter Rot-Grün, quittierten viele im Saal mit einem lauten Aufschrei. Und sie ließen wissen: Das Gegenteil sei der Fall, immer mehr Menschen hätten Angst vor der Zukunft, und die Schere zwischen Arm und Reich klaffe immer weiter auseinander. „Das stimmt für die Zeit der SPD-Agenda-Politik", kommentierte Rüddel. Heutzutage sei das nicht mehr der Fall.Zudem verstehen die Menschen vor Ort nicht, warum etwa für Griechenland milliardenschwere Rettungspakete geschnürt werden, anstatt den Vorstellungen der Menschen hier zu entsprechen. Aber auch von den anderen Bewerbern (die Kandidaten von FWG und Piraten waren nicht eingeladen) erwarteten die Bürger konkrete Antworten auf Fragen, die ihnen auf den Nägeln brennen.

Auf Einladung der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Neuwied diskutierten Rüddel (CDU), Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD), Elisabeth Bröskamp (Bündnis 90/Die Grünen) und Jochen Bülow (Die Linke) (Sandra Weeser, FDP, war beruflich verhindert) gut zweieinhalb Stunden mit zahlreich erschienenen politisch Interessierten über Staatsfinanzen, Europa, Rente und Soziales. Schon beim Thema Steuern bissen sich die Bürger schnell fest und klopften die Positionen der Politiker ab. Die Kandidaten selbst liefern sich dazu einen Schlagabtausch: Die SPD will den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent anheben, um so Menschen mit durchschnittlichen Einkommen und darunter zu entlasten und jene mit „breiten Schultern" stärker zu belasten. Zudem soll die Finanztransaktionssteuer kommen, und Steuerschlupflöcher gehörten ohnehin geschlossen. Ziel sind etwa 6 Milliarden Euro zusätzlich. „Das hat nichts mit Neid zu tun, das schafft mehr Gerechtigkeit", betonte Sabine Bätzing.

Rüddel, der die rot-grüne Regierung von Schröder für die Euro-Krise verantwortlich machte, warnte hingegen davor, die Steuern zu erhöhen: „Es besteht die Gefahr, dass diese immer wieder beschworenen starken Schultern auch irgendwann schwach werden." Sollte die SPD an die Macht kommen, sieht er eine regelrechte „Steuererhöhungsorgie" auf die Menschen zukommen. Seine Partei habe angesichts einer „gut laufenden Wirtschaft" derzeit keinen Anlass, an der Steuerschraube zu drehen: „Die Aufgaben sind auch ohne Steuererhöhungen lösbar." Als ein Bürger klipp und klar wissen wollte, ob Rüddel bei etwaigen Steuererhöhungen die Hand heben würde, sagte der Abgeordnete: „Wenn wir weiter mit der FDP regieren können, wird die Wirtschaft weiter so laufen, eine Steuererhöhung also nicht nötig sein." Und nach der von der CSU geforderten Maut befragt, erklärte Rüddel: Dieser Vorschlag werde es gar nicht erst in den Bundestag schaffen.

Ein Bürger hielt dem entgegen: „Nach der Wahl kommt der Schuldenschnitt für Griechenland, und das Geld reicht nicht mehr." Aus Rüddels Sicht geht das eher in Richtung Panikmache.

Dass Linke und Grüne ebenfalls Besserverdiener höher besteuern wollen, ist kein Geheimnis. Die Grünen setzen bei Einkommen ab 80 000 Euro an. „Durch unser Programm werden laut einer anerkannten Studie viele schlechter Verdienende bessergestellt", erklärte Bröskamp. Ferner sprach sie sich gegen das Ehegattensplitting aus, weil davon nur Verheiratete ohne Kinder profitieren würden.

Jochen Bülow sagte frei heraus: „Das Geld muss man da holen, wo es ist. Die Finanzierung des Gemeinwesens ist zwar breit verteilt, aber leider auf zu wenigen starken Schultern."

Auch beim Thema Rente schalteten sich die potenziellen Wähler ohne Berührungsangst in die Diskussion ein. „Private Vorsorge ist doch gerade bei Geringerverdienenden gar nicht möglich", schimpften sie. Und: „Wieso bittet die Regierung nicht endlich auch mal die Beamten mit zur Kasse?"

Genossen, Grüne und Linke erkennen bei der Rente Ungerechtigkeiten, die sie etwa mit höheren Steuereinnahmen aus der Welt schaffen wollen. Für Bätzing liegt der Fall klar: Im Rentensystem fehlendes Geld müsse über mehr Steuereinnahmen beschafft werden. Damit ließe sich eine Solidarrente in Höhe von 850 Euro finanzieren. Die Abgeordnete argumentierte: „Die Renten hängen eng mit dem Arbeitsmarkt zusammen. Wenn wir gute Löhne zahlen, haben wir auch gute Renten." Da müsse auch ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro her, den Grüne und Linke ebenso fordern.

Auch die Grünen wollen eine Grundrente von 850 Euro einführen. Bröskamp: „Die Rentenarmut ist vor allem weiblich, obwohl viele Frauen auch eine Erziehungsleistung erbracht haben."

Die Linken fordern laut Bülow sogar eine Mindestrente von 1050 Euro. Obendrein müssten mehr Menschen ins Rentensystem einzahlen. „Dann könnten wir die Rentenbeiträge senken und langfristig Hartz IV abschaffen."

Rüddel sagte: „Auch wir erkennen da eine gewisse Ungerechtigkeit." Deshalb sollte wir vorhandenes Steuergeld lieber in die „Mütterrente" stecken, anstatt die Rentenbeiträge zu erhöhen. Beim Lohn vertraut er den Tarifpartnern und setzt auf einen tarifgebundenen Mindestlohn. Die Bürger machten deutlich, dass sie daran nicht so recht glauben können und sie den Staat in der Pflicht sehen.

Übrigens: Mitbestimmung etwa über Volksabstimmungen sehen fast alle Kandidaten als probates Mittel an. Rüddel hingegen hält die Politik „oftmals für komplizierter, als dass Fragen nur mit Ja oder Nein zu beantworten wären".

Von unserem Redakteur Ralf Grün


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