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Heftige Turbulenzen um die Tafel: Kritik an Lebensmitteln und Mitarbeitern

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Von unserem Redakteur Ulf Steffenfauseweh

Darüber hinaus behaupten gleich mehrere Diskussionsteilnehmer in der Facebook-Gruppe "Du bist Neuwied, wenn ...", dass Tafel-Mitarbeiter die Kunden teilweise anschnauzen und sich die besten Sachen in die eigenen Taschen stecken. (Auszüge der Diskussion und Reaktionen der Mitarbeiter) Bei einer unangemeldeten Stichprobe der Rhein-Zeitung am Dienstag vor acht Tagen bestätigte sich das zwar nicht - stattdessen trafen wir auf empörte und von der Kritik im Internet sichtlich getroffene Frauen, die dort ehrenamtlich arbeiten.

Und auch bei einem weiteren - abgesprochenen - Besuch am vergangenen Freitag waren die beschriebenen Zustände so nicht zu beobachten. Wohl aber räumte Tafel-Chefin Elisabeth Adrian von der Caritas in einem Gespräch offen und ehrlich ein, dass ein Teil der Vorwürfe nicht unbegründet ist. Die Behauptung, dass 90 Prozent der ausgegebenen Lebensmittel für die Tonne sind, sei zwar überzeichnet, alles glattgelaufen ist in der Vergangenheit aber nicht. So habe sie sich auch schon von Mitarbeitern trennen müssen.

Seit der Finanzkrise haben sich laut Elisabeth Adrian Menge und Qualität der gespendeten Lebensmittel merklich verschlechtert. Eine konkrete Folge: Nicht nur in Neuwied, sondern bei den Tafeln bundesweit ist die Regelung, keine Lebensmittel mit verstrichenem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) herauszugeben, schon lange gekippt. "Wenn man es überspitzen wollte, könnte man schon sagen, dass wir hier eine Müllverwertungsstelle sind", sagt Adrian schulterzuckend.

Vieles sei aber eben auch Ansichtssache. Natürlich werde aussortiert, aber bei Mitarbeitern wie Abholern gebe es unterschiedliche Wahrnehmungen, was noch essbar ist und was nicht.

Gerade in den Bereichen Fleisch, Wurst, Käse und Joghurt könnte die Tafel praktisch gar nichts mehr herausgeben, wenn sie sich an die alte Vorgabe halten würde, berichtet die Leiterin. "Die Märkte behalten die Waren seit der Finanzkrise selbst bis zum letzten MHD-Tag. Das war früher anders. Da haben wir sie schon zwei oder drei Tage früher bekommen", sagt Adrian.

Da durch die Eröffnung von weiteren Tafeln im Umkreis auch manche Lebensmittelläden als Lieferanten für Neuwied komplett weggefallen sind, stellt sie insgesamt eine deutliche Verschlechterung des Angebots fest. Und absolute Gerechtigkeit, die schon vorher nicht möglich war, könne sie jetzt erst recht nicht gewährleisten: "Pro Ausgabetag lassen wir 130 Leute kommen. Aber wir haben nun einmal keine 130 Flaschen Olivenöl oder 130 Tafeln Schokoladen", bedauert sie.

Dass die Mitarbeiter teilweise auch ein wenig nach eigener Sympathie verteilen, komme vor, sei aber nicht gewollt. Adrian berichtet, dass sie erst vor zwei Wochen Gespräche darüber mit ehrenamtlichen Helfern geführt hat und anschließend auch ein Mitarbeiter gegangen ist.

Sie hat auch schon Mitarbeiter weggeschickt, weil diese selbst unberechtigt etwas eingesteckt hatten. Allein die Kontrolle ist schwer: So habe sie beispielsweise einfach nicht das Personal, um den Fahrern, die die Waren einsammeln, noch einen Kontrolleur auf den Bifahrersitz zu setzen.

Sie bestätigt außerdem eine große Fluktuation unter den Mitarbeitern. Zwar gebe es tolle Helfer, die schon seit Beginn vor acht Jahren dabei sind und ihre Freizeit für den guten Zweck opfern, aber es seien auch 1-Euro-Jobber und Leute, die Sozialstunden ableisten darunter - und eben auch solche, die selbst eine Bezugsberechtigungskarte haben.

Das sorgt teilweise für Missverständnisse: "Die Leute sehen dann, dass die Mitarbeiter volle Taschen zum Auto tragen, und denken, sie hätten sich das einfach eingesteckt. Aber vielleicht hatten sie selbst Einkaufstag", sagt sie. Und zudem ist den Mitarbeitern erlaubt, das, was übrig bleibt, mitzunehmen.

Nichtsdestotrotz gibt Adrian zu: "Es gibt auch welche, die ausscheren. Das wollen wir nicht, aber das kann ich leider nicht immer ganz verhindern", seufzt sie. Denn um Konsequenzen einzuleiten, muss sie diese Mitarbeiter auf frischer Tat ertappen. Für die Zukunft hat sie sich in diesem Bereich vorgenommen, dass die hauptamtlichen Caritas-Kräfte stärker Präsenz in der Tafel zeigen sollen.

Nicht ganz verhindern kann sie auch, dass es manchmal Streit gibt - teilweise zwischen den Kunden, teilweise zwischen Abholern und Mitarbeitern. Manchmal seien die Mitarbeiter nicht so freundlich, wie es wünschenswert ist, es gebe aber auch sehr fordernde, teilweise unverschämt-dreiste und aggressive Kunden. "Wir hatten schon freiwillige Helfer, die deshalb nicht wiedergekommen sind", erinnert sich Adrian.

Und sie unterstreicht noch einmal, dass die Caritas - anders als von so manchem Kritiker behauptet - an der Tafel kein Geld verdient, sondern pro Jahr 15 000 bis 20 000 Euro in die soziale Einrichtung steckt.

Neustart nach Umzug und Abholerbefragung

Seit nunmehr acht Jahren ist die Tafel in der Museumsstraße und damit deutlich länger als anfangs gedacht. Die von der Stadt mietfrei überlassenen Räumlichkeiten muss die Caritas allerdings in noch nicht konkret bestimmter, aber nicht allzu ferner Zukunft räumen, weil das Gebäude abgerissen und dort das neue Jugendzentrum gebaut wird. Neue Räumlichkeiten für die Tafel sind noch nicht in Sicht, Elisabeth Adrian ist aber zuversichtlich, dass welche gefunden werden.

Den dann folgenden Umzug will sie auch für einen Neustart nutzen – wenn die Abholer das wünschen. Sie will jedenfalls Befragungen durchführen. Dabei könne beispielsweise herauskommen, dass die Abgabeart auf vorher gepackte Körbe umgestellt wird. Eine denkbare Alternative sei eine Art Ladensystem – natürlich ohne Gewinnbestrebungen –, bei dem jeder Berechtigte bis zu 40 Teile zu je 10 Cent, also für insgesamt 4 Euro, kaufen kann. ulf


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