Kreis Neuwied - Es blubbert hier, es brutzelt da, und gleich mehrere piepende Küchengeräte bitten via Akustiksignal um Beachtung. Katharina Becker bekommt von der appetitanregenden Geräuschkulisse in der Küche des Neuwieder Seniorendomizils Sonnenhügel nichts mit.
Von unserem Redakteur Mario Quadt
Die 21-Jährige mit den strahlend bergseeblauen Augen ist seit ihrer Geburt gehörlos. Doch all ihre anderen Sinne sind hellwach, um den Alltag an mehreren Herden gleichzeitig zu meistern. "Ihre Kuchen und ihre Nussecken sind fantastisch und bei unseren Bewohnern sehr beliebt", meint Küchenleiter Uwe Eul über seine neue Hauswirtschaftshelferin. Das Handicap seiner Mitarbeiterin, nichts hören zu können, ist für ihn und sein Team keins.
"Ein Freund von mir hat eine gehörlose Schwester - darum gibt es bei mir keinerlei Berührungsängste", berichtet der Herr der Töpfe in der Irlicher Einrichtung. Lange musste Katharina Becker nach einem geeigneten Job suchen, mithilfe der Neuwieder Agentur für Arbeit und eines dicht geknüpften Netzwerks ist das jetzt gelungen. "Es gibt leider noch viele Vorbehalte gegen Arbeitnehmer mit Handicap", weiß Natascha Lentes, Pressesprecherin der Neuwieder Agentur für Arbeit. Der heutige internationale Tag der Menschen mit Behinderung ist für die Agentur Anlass, eine ganze Aktionswoche zum Thema zu starten, um solche Vorbehalte zu minimieren. "Sie sollten nicht nur wegen der staatlichen Förderung eingestellt werden", fordert Lentes. Zukünftig werde es aber allein wegen des Fachkräftemangels ein Umdenken geben müssen.
Und fachlich macht Katharina niemand etwa vor. Unterstützt von Silke Büsch und Kerstin Comes vom Neuwieder Zentrum für Hörgeschädigte Informa, die nicht nur Gebärdensprache können, sondern auch um die großen und kleinen Tücken für Gehörlose im Alltag wissen, schrieb die frisch ausgebildete Hauswirtschaftshelferin eine Initiativbewerbung an ihren neuen Arbeitgeber - ohne dass eine Stelle ausgeschrieben war. "Das zeichnet sie aus: Sie ist eine sehr selbstbewusste junge Frau", sagt Einrichtungsleiterin Barbara Köhlinger.
Teil des Netzwerkes ist, dass ein technischer Berater die Küche in Augenschein nahm, um zu prüfen, wo für die 21-Jährige Probleme auftauchen könnten. "Schon durch ihre Art hat sie alle möglichen Zweifel niedergewalzt", findet Köhlinger. Doch nicht selten scheitert die Einstellung von Arbeitnehmern mit Handicap an strengen Vorschriften - etwa beim Brandschutz. Im Falle eines brenzligen Notfalls bekommt auch Katharina vom akustischen Alarm nichts mit. Die Lösung: "Sie bekommt einen Brandmelder, der auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist."
"Sie ist sehr ehrgeizig und motiviert", findet Sina Bernsdorf, die in der Einrichtung unter anderem Hauswirtschafter ausbildet. "Wir geben jedem eine Chance und niemanden so schnell auf." Eben das sei Teil der Firmenphilosophie, sagt Geschäftsführer Jürgen Löhr: "Wir versuchen machbar zu machen, was andere vielleicht nicht können. Schließlich arbeiten wir mit Menschen für Menschen."
Katharina Becker selbst wollte ursprünglich eigentlich Tierärztin werden. "Doch das ist schwierig wegen der Kommunikation", berichtet sie in Gebärdensprache. Ihr jetziger Beruf mache sie nicht minder glücklich und helfe ihr, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ihre Schwarzwälder Kirschtorte mundet sowieso auch ohne Worte, findet Uwe Eul. Zudem kann Katharina hervorragend von den Lippen ablesen. Und falls die Kommunikation doch mal stockt, gibt es noch zwei Geheimwaffen: "SMS oder ein Schreibblöckchen."