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Totes Pflegekind Anna: Verfahren gegen Jugendamtsbetreuerin vor der Einstellung

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Bad Honnef – Die Verteidigung der 46 Jahre alten Königswinterer Jugendamtsmitarbeiterin sieht im Prozess um die Mitschuld am Tod des neunjährigen Pflegekindes den Vorschlag der 1. Großen Strafkammer am Bonner Landgericht kritisch.

Von unserem Redakteur Mario Quadt

Am Ende eines langen Verhandlungstages – dem siebten im Prozess gegen die Königswinterer Jugendamtsmitarbeiterin, die für das in der Badewanne ertränkte Pflegekind Anna zuständig war – reift in Richter Hinrich de Vries eine Erkenntnis heran: Wenn sich Annas Betreuerin der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen in irgendeiner Weise schuldig gemacht haben sollte, so sei ihre Schuld als nicht so schwerwiegend einzuschätzen – insbesondere im Vergleich zu der Schuld, welche die verurteilten Pflegeeltern auf sich geladen haben. So schlug de Vries nach einem Tag mit der Vernehmung von fünf Zeugen vor, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße einzustellen.

Essstörungen als Anzeichen einer Misshandlung

Dass die Essstörungen des Kindes und dessen Angst vor dem Betreten des Badezimmers nichts anderes als Anzeichen einer Misshandlung Annas durch die Pflegefamilie waren, darauf, so de Vries, sei keiner der Betreuer und Mediziner gekommen. Annas angebliche, später ärztlich attestierte Wasserphobie, die von der Kinderärztin festgestellten Hämatome sowie die von Petra W. immer wieder geäußerten Ausflüchte und Erklärungen seien weitere Anzeichen. Im Umfeld des ermordeten Kindes gebe es „einige, die ihren Job nicht gut gemacht haben", stellte der Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer am Bonner Landgericht fest.

Die Reaktion der Verteidigung auf den Vorschlag de Vries' fiel vergleichsweise reserviert aus: Wie bereits am ersten Verfahrenstag geschildert, sei es im Interesse der 46 Jahre alten Angeklagten, dass alle Fakten auf den Tisch kämen – insbesondere, was die strukturellen Probleme im Jugendamt angehe. So soll die Organisation des Amtes im Verfahren ebenso kritisch gewürdigt werden wie die Arbeitsbereiche, Zuständigkeiten und Belastungen der Mitarbeiter. Alle am Prozess Beteiligten, das heißt auch die Staatsanwaltschaft sowie die Rechtsanwältin der Nebenklägerin, Annas leiblicher Mutter, haben eine Woche Bedenkzeit, um über das Angebot des Kammervorsitzenden zu entscheiden.

Eng an die Pflegemutter gekuschelt

Zuvor hatte ein zur Betreuung Annas hinzugezogener Sozialpädagoge des Diakonischen Werks seinen Eindruck geschildert, dass sich Anna bei Gesprächen über ihre Probleme immer eng an die Pflegemutter gekuschelt habe. Es sei aber doch bekannt, dass misshandelte Kinder nicht gerade selten die Nähe zu ihren Misshandlern suchten, entgegnete der Richter.

Vorwürfe, so berichtete sie, macht sich auch eine Zeugin, deren Kinder ebenfalls bei Familie W. in der Tagespflege waren. Mehr als einmal, schilderte die 39-Jährige, habe sie den Eindruck gehabt, dass die 2012 zu lebenslanger Haft verurteilte Petra W. mit der Betreuung Annas überfordert gewesen sei. Leichtgläubig habe sie den beschwichtigenden Aussagen der Pflegemutter – etwa zur Herkunft von Annas blauen Flecken – Glauben geschenkt. „Im Nachhinein mache ich mir Vorwürfe", sagte die zweifache Mutter.

Fortgesetzt wird der Prozess gegen Annas Jugendamtsbetreuerin am Mittwoch, 11. Dezember, 9 Uhr, Saal S.015 des Landgerichts Bonn.

 


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