Linz - Millionen Menschen feierten 1989 den Fall der Mauer zwischen Ost- und Westberlin, ebenso viele kämpfen täglich darum, emotionale oder soziale Mauern zu durchstoßen – Norbert Thelen in Linz hingegen will die Mauer wieder aufbauen. Die Reste der mittelalterlichen Stadtumfriedung haben ihn schon vor zehn Jahren fasziniert, als der gebürtige Bergisch Gladbacher zum ersten Mal durchs Rheintor in sein neues Domizil in der Innenstadt fuhr. Seitdem hat er die Idee, die Mauer zu rekonstruieren, hie und da erwähnt – jetzt jedoch, da der Erneuerungsprozess unter dem Titel „Linz gestalten – Leben in der Altstadt“ in die Gänge gekommen ist, sieht er ihre große Verwirklichungschance gekommen. Die RZ ist mit Thelen einmal um seine Vision herumspaziert.
Eine etwa 1 Meter dicke und 3,5 Meter hohe Basaltmauer umgab Linz einmal zwischen Rheintor, Leetor, Neutor und Grabentor. Davon erhalten sind nur West- und Ostpforte und der außerhalb der Stadt platzierte Pulverturm sowie Einzelstücke. Die heutige Hauptverkehrsader Asbacher Straße verdrängt die Vorstellung davon, wo einst die Mauer verlief, völlig. Dutzende Mauermeter sind in gutem Zustand, aber kaum zu sehen. Mancherorts sind Mauersteine in anderen Gebäuden mitverbaut.
Dieses Wirrwarr möchte Thelen entlang der alten Achsen lichten. Nicht die ganze Mauer will er wieder aufbauen, jedoch soll deutlich mehr zu sehen sein als die jetzt stehenden zwei Tore und Reste. Denn schließlich schmückt sich Andernach auf der gegenüberliegenden Rheinseite mit einer kompletten Stadtmauer, meint er. Und Trier und Köln zeigen mit Sanierung und Ausgrabungen, wie viel Renommee die historische Authentizität bei Besuchern genießt.
Und weil der 70-Jährige nicht nur Geschichte und Philosophie studiert hat, sondern lange in der Werbebranche tätig war, gibt es zu seiner Idee auch längst ein Exposé. Zusammen mit dem Linzer Kollegen Mike Grunzke hat er es gespickt mit griffigen Formulierungen, Provokationen, einnehmenden Argumenten und anschaulichen Bildern. „Die buchstäblich bruchstückhafte Mauer ist keine Zierde. Bunt ist anders“, heißt es da etwa. Der Wiederaufbau der Mauer wäre seines Erachtens ein Projekt, was Gemeinschaftsgefühl weckt und Leben und Touristen in die Stadt zieht, Linz ins Gespräch bringt, bei Künstlern und Architekten Aufmerksamkeit erregt, Häuser und Grundstücke an und innerhalb der Mauer aufwertet und ob seiner Außergewöhnlichkeit Sponsoren, Stadt, Kreis und Land animiert, mit anzupacken. Viele Vorstellungen zur Umgestaltung hat Thelen schon.
Pulverturm: Ein Café mit Ausstellungsfläche bietet sich an, jedoch sollte gerade hier, wo es ohne viel Umstände möglich ist, die Mauer wieder hochgezogen werden – originalgetreu so, dass der Turm mit seiner Sprengkraft außen vor bleibt.
Kaiserberg: Weil man mehr Licht und Luft in der Stadt wollte, wurde das Leetor nach einem Ratsbeschluss 1817 abgerissen. So hört die historische Stadtmauer, die die Kaiserbergstraße säumt, an der Kreuzung mit der Strohgasse einfach auf. Hier ist die Herausforderung, diesen alten Eingang zur Stadt irgendwie wieder sichtbar, erfahrbar zu machen. Thelen ist zu Kompromissen mit der Historie bereit: „Da, wo wir die Mauer wieder aufbauen, muss es nicht authentisch hoch sein. 1,70 Meter reichen auch.“ Am Friedhof bei St. Martin geht die Basaltmauer in Ziegelsteinumrandung über, im WC-Gebäude sind charakteristische Oktogone verbaut: „Die könnte man der Kirche abringen“, glaubt Thelen. Schwieriger wird es mit den Garagen der Petrus-Sinzig-Straße.
Neutor: Zur Pforte gehörten Remise und Wohnräume fürs Wachpersonal im Besitz der Stadt. Daraus würde Thelen gern ein Museum oder stadtmauerwürdigen Wohnraum machen. Und die Mauer, die noch von der evangelischen Kirche bis zur Burg durchläuft, gehört freigelegt.
Ein „Linzer Wall Walk“ soll das Werk für Besucher gang- und erzählbar machen: vielleicht mit einem Führer, der die Stadt im 4/4-Takt umrundet, vielleicht mit interaktiven audiovisuellen Stationen. Es bleibt die letzte, aber nicht letztbedeutende Frage nach der Finanzierung. Auch da ist Thelen ganz Werber: „Das Wichtigste ist Partizipation, dass den Leuten Ideen einfallen. Wenn man die richtig formuliert, findet man schon eine Förderung dafür.“
Von unserer Redakteurin Dorothea Müth