Von unserem Redakteur Mario Quadt
Bad Hönningen. Es blubbert und gluckert allenthalben. Frisch geerntete Trauben vollführen in blank gebohnerten Edelstahltanks, was Weinfreude zu dieser Zeit des Jahres von Rebenfrüchten erwarten: Sie geben sich der alkoholischen Gärung hin – diese Gärgase erzeugen das Blubbergeräusch. Wer eine Nase nehmen darf, dem fallen die vielfältigsten Aromen – fruchtige, erdige und ganz viel überraschende Nuancen – auf, welche die Trauben seit dem Frühjahr aufgesammelt haben. „Gibt das einen guten Wein?", fragt Winzer Alfred Emmerich lächelnd mit Blick auf die Maische für den Spätburgunder 2013. Mehrmals am Tag schaut er nach dem, was in den vergangenen Wochen an den Hängen rund um den Bad Hönninger Schlossberg gelesen wurde. Das Ganze geschieht nicht in irgendeinem dunklen Keller, sondern inmitten der Bad Hönninger Fußgängerzone. Der frühere Ahrwinzer hat die lange leer stehende Tengelmann-Immobilie in ein Weingut verwandelt.
Das Herz des neuen Bad Hönninger Stadtweinguts schlägt genau dort, wo zu Tengelmann-Zeiten die Kunden für frisches Fleisch und Fisch anstanden. Der komplette Jahrgang des Weins mit Schloss Arenfels als unverwechselbarem Blickfang auf dem Etikette ruht hier – Riesling, Spätburgunder und Müller-Thurgau. 5000 Liter fassen die großen Fässer, 1000 Liter die kleineren. Winzer Alfred Emmerich scheint angekommen. „Ich musste viel Fantasie aufbringen, um mir vorzustellen, hier ein Weingut reinzubringen", sagt er über die 12 000 Quadratmeter Ex-Supermarktfläche, die er jetzt zur Verfügung hat. Jetzt passe aber alles.
22 Jahre arbeitet der gebürtige Leutesdorfer als Winzer an der Ahr. Zweimal heimst Alfred Emmerich, der aus der Leutesdorfer Winzerdynastie gleichen Namens stammt, die begehrte Auszeichnung für Deutschlands besten Spätburgunder ein. Dem eigenen Wunsch nach Veränderung folgend, übernimmt er Ende 2012 die Geschäftsführung des Bad Hönninger Stadtweinguts. Um die Fußgängerzone zu beleben und einen sichtbaren Neuanfang zu dokumentieren, zieht er vor wenigen Wochen von der Hauptstraße mitten in die Innenstadt. Einen „Freund seit Kindergartentagen" kann er als Investor gewinnen, um die Leerstandsimmobilie zu übernehmen (die RZ berichtete).
Mancher Stammkunde finde bereits den Weg durch die sich öffnende Glastüre – die sehr betagte Dame etwa, die regelmäßig drei Flaschen Sekt einkauft. „Wir können ein Stück Lebensqualität bieten, auch wenn ich keinen Supermarkt ersetzen kann", sagt er.
Wie sehr sein Weinbetrieb in der Innenstadt Aufmerksamkeit findet, auch bei Touristen, zeigt ein kleines Plakat, das Emmerich jüngst aushängt. „Stadtweingut geht Trauben lesen. Wer hat Lust mitzukommen?" Selbst Urlauber wollen helfen: „Ich hatte ein Ehepaar aus Osnabrück hier, die zum Rheinsteigwandern gekommen waren und dann ihren Aufenthalt um einen Tag verlängert haben, um im Weinberg lesen zu können." Andere Leser reisen mit dem Wohnmobil aus dem Kreis Altenkirchen an. 15 Erntehelfer im Alter von 16 bis 73 Jahren helfen Emmerich, der bislang zwei feste Angestellte eingestellt hat. „Das Konzept geht wirklich auf", meint Bad Hönningens Bürgermeister Michael Mahlert (SPD) nach einem Rundgang durchs Gut. „Die Lage hier ist optimal für die Belebung der Innenstadt", findet die Spitzengenossin Sabine Bätzing-Lichtenthäler und fügt hinzu: „Winzer und Tourismus – das lässt sich bestens miteinander verbinden."