Linz - Es gibt eine Disziplin, in der muss man die Stadt Linz als eine der sechs Großen im deutschsprachigen Raum nennen: das Auftreten des städtischen Archivs im Internet und besonders im Web 2.0, in sozialen Netzwerken also. Schon 2005 hat es seine Findbücher digitalisiert und damit Nutzern weltweit rund um die Uhr zugänglich gemacht. Jetzt bildet Archivarin Andrea Rönz zusammen mit Kollegen aus Speyer, Mannheim und Neuss die Avantgarde, die aktuell in einer an den Deutschen Städtetag angebundenen Studie anderen erklärt, wie historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit mithilfe der sozialen Medien funktioniert.
"Damals war dies bei Archiven gerade erst im Kommen", sagt Rönz, die das Projekt initiiert hat. Als sie 2011 mit der Google-plus-Seite online ging, hatte es erst ein anderes deutschsprachiges Archiv ihr gleichgetan.
Das ist umso hervorstechender, als dass man, an Ort und Stelle betrachtet, das Linzer Stadtarchiv erstmal nicht für ein Vorbild in moderner Nutzerfreundlichkeit hält: Es ist in einer alten Kirche untergebracht, hat nur an einem Tag in der Woche geöffnet, und die Architektur ist zu eng, um alle Ausstellungsstücke gut zur Geltung zu bringen. Notgedrungen war es, dass Andrea Rönz, als sie 2004 die Arbeit aufnahm, gleich den Fokus auf den digitalen Zugang richtete: "Wenn wir uns schon ein Archiv und die Unterhaltung des Gebäudes leisten, sollte es auch nutzbar sein. Und wenn nur ein Tag die Woche offen ist, müssen wir den Zettelkasten digitalisieren", schlug sie Stadtbürgermeister Adi Buchwald vor - und der sei zum Glück von der Idee "begeistert" gewesen. In Folge finanzierte der Rat das Projekt, das immerhin drei Fachkräfte forderte.
Es hat sich gelohnt: Mehrere Anfragen erreichen Rönz pro Monat, von Linzern und aus der Region, auf wissenschaftlichem oder Unterhaltungsniveau, die online nach Dokumenten recherchiert haben und diese zur Ansicht bestellen. "Viele können sich erst gar nicht vorstellen, was es in einem Archiv alles gibt", sagt Rönz. Darum geht Web 2.0 in Linz viel weiter: Jeden Tag postet Rönz etwas auf Facebook und Twitter für Hunderte Fans. Sie belustigt zum Wochenende mit Fotos von "ausgehfeinen Herren 1904", weist auf Veranstaltungen hin, stellt Zusammenhänge her wie am 18. November: "Christian I. ist nicht nur der 70. Linzer Prinz, sondern der Enkel des früheren Stadtarchivars und hat uns eine umfangreiche Sammlung zur Verfügung gestellt. Wünschen eine tolle Session!"
Alle paar Monate lädt Rönz ein digitalisiertes Video auf YouTube hoch: So kann man Kunstspringer und lachende Badenixen im Linzer Schwimmbad 1959 beobachten. Rönz, die die "kleine Stadt mit reicher Geschichte ganz toll" findet, möchte so nicht nur das Archiv bekannt machen und vernetzen, sondern auch ihre eigene Leidenschaft für Geschichte nach außen transportieren. Ein Hochwasservideo ist ein Beispiel für Crowdsourcing - dafür, wie Menschen von außerhalb Fachinformationen mit vervollständigen: Rönz hatte in ihrem Kommentar zum Film erst auf die 30er-Jahre getippt. "Da schrieb ein Nutzer, dass es angesichts des Automodells frühestens die 50er gewesen sein können." Dann identifizierte ein weiterer die 1954 in Betrieb genommene Fähre. Im Abgleich mit dem Hochwasserkalender steht nun das Aufnahmejahr fest: 1955. Diese "einfache und kostenlose" Form der Öffentlichkeitsarbeit und Nutzerkommunikation von Linz wird Rönz auch auf Tagungen vorstellen.
Von unserer Redakteurin Dorothea Müth