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Bernd Friedrich, Kämpfer.

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Neuwied - Vor 20 Jahren gewann ein Neuwieder die deutsche Schwergewichtsmeisterschaft im Profiboxen. Heute führt er seine eigene Metzgerei – und er kämpft noch immer.

Von unserem Redakteur Ulf Steffenfauseweh

Es ist angerichtet in der Sporthalle Oberwerth. 3500 Zuschauer, darunter der frischgebackene IBF-Weltmeister Henry Maske und der hafturlaubende Promoter Ebby Thust, fiebern dem Kampf um den vakanten deutschen Meistertitel im Schwergewicht entgegen. Dann geht es ganz schnell. War es ein unabsichtlicher Kopfstoß des ungestümen Siegers, wie einige sagen? Oder war es ein harter linker Haken an den Kopf im Infight, wie er selbst es beschreibt? Sei's drum: Der Ringrichter bricht den Kampf wegen einer tiefen Risswunde an der Stirn von Christian Honhold noch in der ersten Runde ab. Den Regeln entsprechend, darf Bernd Friedrich aus Neuwied die Arme in die Luft heben und sich den Siegerkranz umhängen: Deutscher Schwergewichtsmeister im Profiboxen 1993 – der größte Triumph seines Lebens, zumindest in sportlicher Hinsicht.

Heute, 20 Jahre später, führt der gelernte Fleischer die vom Vater übernommene Metzgerei mit Cateringservice. Aber er kämpft noch immer, nur nicht mehr als Boxer. Diese Karriere hat er 1998 beendet. Notgedrungen. „Ich wollte eigentlich weitermachen, bekam aber keine vernünftigen Kämpfe mehr", erzählt er. Und ein bisschen ärgert er sich im Rückblick schon. Denn er ist überzeugt, dass er mehr hätte erreichen können – mit einem professionellen Management zum Beispiel.

Aber vor allem, wenn es bei ihm selbst früher „im Kopf Klick gemacht" hätte, wie er es beschreibt. „Ich boxe heute viel, viel besser als früher", ist der 50-Jährige sicher und beschreibt, dass er erst spät verstanden hat, was Technik ausmacht. „Früher habe ich nur mit Kraft geschlagen. Das geht unheimlich auf die Kondition, bringt aber nicht viel. Heute mache ich es mit Schwung", berichtet er.

Aber ein Techniker ist Friedrich in seiner Profizeit eben nicht. Und eigentlich auch kein Boxer. Er ist ein Kämpfer. Einer, der den harten Schlagabtausch im Nahkampf sucht. „Was Muhammad Ali damals gemacht hat, war ja hervorragend und schön, aber das war nicht mein Weg. Leichtfüßiges Tänzeln lag mir nicht", erzählt er, und in seinem kleinen Garagen-Gym zu Hause hängen Plakate von Mike Tyson.

So beendet er seine Amateurkarriere bei Rot-Weiß Koblenz und CSC Frankfurt schnell, um ins Profilager zu wechseln. „Beim Amateurboxen zählt ein kleiner Stups ja genauso viel wie ein echter Schlag", erzählt er, und dann rutscht ihm das Wort „Nachlaufspiel" heraus. Doch weil Friedrich kein Typ ist, der sich über andere lustig machen, weil er keiner ist, der andere Menschen herabwürdigen will, kassiert er das sofort wieder ein: „Sieht ja gut aus, war eben nur nicht meins."

105 Kilo Gewicht, pure Muskelmasse

Seins, das ist der Kampf, das ist das Sich-Messen mit anderen. Und das ist die Selbstbehauptung. „Ich wollte nicht so eine Luftpumpe sein, die in Wirklichkeit nicht einmal einen Kasten Bier tragen kann, sondern immer in etwa so stark sein, wie ich aussehe", beschreibt er seine Ziele. Er, der Bulle mit dem kahl rasierten Kopf, der bei 1,82 Meter Körpergröße anfangs seiner Boxkarriere fast 130 und heute noch 105 Kilogramm wiegt – ohne dass irgendetwas schwabbeln würde. Pure Muskelmasse.

Um zu seinem Ziel zu kommen, probiert er viele Wege. Zunächst Judo: Er ist gut. Nur die vielen Vorschriften sind nicht sein Ding, die Gürtelprüfungen mag er nicht. Er will einfach kämpfen, legt mehrfach Schwarzgurte auf den Rücken, obwohl er selbst nur Gelb oder maximal Grün tragen darf. Er kommt so nicht richtig weiter.

Dann versucht er sich kurz in Karate, ehe er zum Kraftsport wechselt. Mit dem immer noch aktuellen Bodybuilding-Weltmeister Thomas Scheu und anderen trainiert er Stunde um Stunde im Studio auf dem Heddesdorfer Berg. „Wir haben uns gegenseitig hochgepusht. Das war schon eine geile Zeit", erinnert er sich. Weil es Friedrich jedoch nicht ums Posieren geht, sondern darum, stark zu sein, geht er in Richtung Kraft-Dreikampf: Bankdrücken, Kniebeugen, Kreuzheben. „Ich konnte mir damals 90 Kilogramm an den Gürtel hängen und damit fünf bis sechs Klimmzüge machen oder 200 Kilo auf die Schulter legen und 20 Kniebeugen machen", erinnert er sich nicht ohne Stolz. Und Friedrich hat Erfolg: Trotz seines Eigensinns – „Bankdrücken habe ich nie trainiert, weil ich es nicht mochte" – bringt er es mit 20 Jahren zum Juniorenweltmeister, stellt im Powerlifting gar einen Juniorenweltrekord auf. Doch ein Problem löst das alles nicht: In ihm stauen sich Aggressionen auf. „Ich hab von Natur aus einen sehr hohen Testosteronspiegel", sagt er: „Wenn ich damals mit dem Auto unterwegs war und hinter mir einer gehupt hat, dann hätte ich bis nach München hinterherfahren können, um ihn zu fragen: Warum hast du gehupt?"

Doch eben das will er nicht. So erzählt er weiter, wie er sich früher mal als Türsteher in der Disco vor einem unbekannten jüngeren Mann und dessen Freundin aufgebaut hat: „Was guckst du mich so an?" Später liegt er stundenlang im Bett und fragt sich: „Warum hab ich das gemacht und ihn vor seiner Freundin so bloßgestellt?" Und aus Furcht, sich bei Begegnungen mit anderen, schwächeren Menschen nicht immer ausreichend unter Kontrolle halten zu können, traut sich Friedrich schließlich kaum mehr in die Stadt – bis er zum Boxen findet.

„Psychologen waren damals ja noch nicht so verbreitet. Da hab ich mich selbst therapiert", sagt er heute. „Ich bin nicht Boxer um des Boxens willen geworden, sondern brauchte etwas, um meine Energie und Aggressivität in die richtigen Bahnen lenken zu können." Und eben das gelingt ihm, weil er nun richtige Gegner bekommt. „Ich bin sofort viel ausgeglichener geworden. Wenn mir einer blöd gekommen ist, konnte ich locker sein, weil ich wusste: In zwei Wochen kann ich mich mit jemandem messen, der wirklich stark ist", erzählt er.

Und richtig starke Gegner bekommt er: in seinem Profidebüt gleich den deutlich erfahreneren Mario Schießer, dem er nach Punkten unterliegt. Dann, nach einigen Siegen, boxt er gegen Axel Schulz um die deutsche Meisterschaft. Friedrich liefert trotz verletzter Schulter wohl einen seiner besten Kämpfe. Die Fans in Kassel feiern den Underdog aus dem Rheinland bei der letztlich verdienten 92:99-Punktniederlage für seinen eisernen Widerstandswillen. Denn Friedrich bleibt stehen und bricht über die Zehn-Runden-Distanz nicht ein, obwohl sein bis dahin längster Kampf vier Mal drei Minuten gedauert hatte.

Da wäre doch noch mehr drin gewesen, oder?

Doch auch wenn sich das gut anhört: In Wahrheit kommen diese Gegner für den vom „schönen René" (Weller) promoteten Friedrich viel zu früh. „Boxmanager wollen in erste Linie Geld verdienen", weiß er heute. „Deshalb suchen sie sich junge Leute, die sie in Ruhe aufbauen und mit denen sie hinterher in großen Kämpfen abkassieren können. Ich war ihnen dafür immer zu alt, weil ich ja erst mit 25 angefangen habe", sagt er und ist sicher: „Ich hätte viel mehr erreichen können." Doch wirklich böse, ein wenig verheizt worden zu sein, ist er deshalb nicht: „Es gibt so viel Unglück auf der Welt", kommentiert er stattdessen locker. Und ohnehin ist Bernd Friedrich keiner, der rührselig zurückblickt: „Was ich wagte, das wollte ich. Was ich wollte, das tat ich", lautet sein Lebensmotto.

Und deshalb sucht er auch für seine Niederlagen nicht die Schuld bei anderen, erzählt offen, dass er es selbst war, der den Rückkampf um die deutsche Meisterschaft nicht absagen wollte, obwohl im Vorfeld ein Arzt nach einem Sturz ein Schleudertrauma diagnostiziert hatte. „Ich bekam einen Schlag auf die Deckung, und schon drehte sich alles", beschreibt er seine Niederlage. „Selbst schuld, ich wollte ja unbedingt kämpfen."

„Was ich wagte, das wollte ich. Was ich wollte, das tat ich" – das lebt er. Nur in einem Punkt macht er eine Ausnahme: Denn seit dem Ende der Boxkarriere arbeitet er nicht nur als Metzger und Fitnesscoach, sondern trainiert selbst „Ultimate", eine Kampfart ohne Limits. „Es geht dabei um wirkliche Selbstverteidigung", erklärt Friedrich und legt nach: „Das ist, wie wenn zwei Affen kämpfen. Da kann der eine auch nicht später im Affenhimmel sagen: Das war aber unfair."

Doch auch wenn er täglich vor dem Arbeitsbeginn um 4 Uhr noch mindestens eine Stunde in der Garage trainiert, bei Wettkämpfen tritt er nicht an. „Meine Frau hat mir gesagt, dass sie weg ist, wenn ich damit anfange", sagt er, ist mittlerweile aber selbst auch überzeugt, dass das wohl besser ist. Denn fraglos hat Bernd Friedrich in seiner Boxkarriere einiges eingesteckt. Doch im Vergleich zu den nur in Südamerika erlaubten Ultimate-Wettkämpfen war das Boxen wohl noch harmlos.

„Man bekommt ja immer etwas ab. Aber da bekommste fünf, sechs Dinger und bist fertig", weiß er. Und weil er nicht nur glücklicher Ehemann, sondern auch stolzer Vater von Sade Tiffany (15) und Sky Gerome (9) ist, lässt er das lieber. Stattdessen hat er ein „Kinder stark machen"-Programm für Grundschulen auf die Beine gestellt. „Ich sehe zwar dumm aus, aber ich glaube, dass ich es nicht bin", sagt er. Und überhaupt sei das Wichtigste doch, abends in den Spiegel schauen und sagen zu können: „Es war vielleicht nicht alles richtig, aber insgesamt schon okay." Bernd Friedrich kann das.


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