Von umserem Redakteur Frank Blum
Das was sich wie eine Weihnachtswunschliste für Beschäftigte der Metallindustrie liest, ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen ThyssenKrupp, der IG Metall und dem Betriebsrat und lässt die Neuwieder Rasselstein-Beschäftigten optimistischer in die Zukunft blicken als noch vor drei Monaten. Wie die IG Metall der RZ im Vorfeld der beiden Betriebsversammlungen in Neuwied (gestern) und Andernach (heute) exklusiv mitteilte, sei damit das „letzte Mosaikstückchen auf einer bis dato offenen Baustelle" gelegt worden.
„Es war immer Ziel der Bestrebungen von IG Metall und dem Rasselstein-Betriebsrat, keine betriebsbedingten Kündigungen in Neuwied und Andernach stattfinden zu lassenn", betont Markus Eulenbach, der Erste Bevollmächtigte der IGM Neuwied. „Und das kann man durch das Absenken der Arbeitszeit auf bis zu 30,5 Stunden erreichen." Da der Tarifvertrag Beschäftigungssicherung dies ermöglicht, hat sich kürzlich eine paritätisch besetzte Verhandlungskommission getroffen. Sieben Arbeitgebervertreter trafen sich mit sieben IGM- und Betriebsfunktionären, um über Arbeitssicherung und (Teil)Entgeltausgleich zu debattieren. Zudem war eine 25-köpfige Tarifkommission in die Verhandlungen mit eingebunden.
Die Verhandlungen endeten mit den eingangs erwähnten Ergebnissen, die Eulenbach noch konkretisierte. Der neu geschlossene Ergänzungstarifvertrag hat eine Laufzeit von Januar 2015 bis Dezember 2020. In diesem Zeitraum finden keine betriebsbedingten Kündigungen statt. Zudem erhalten die Beschäftigten in Andernach für die verminderte Arbeitszeit eine Ausgleichszahlung in Höhe von 40 beziehungsweise 45 Prozent. Heißt konkret: Derjenige der vorher 32, nun aber nur noch 30,5 Stunden arbeitet, wird für 31,1 Stunden bezahlt.
Eulenbach fasst zusammen: „Das Verhandlungsergebnis sichert die Beschäftigung für nahezu alle Rasselsteiner bis 2020. Das ist ein tolles Signal für die Belegschaften." Damit werde die Möglichkeit gegeben, die große Herausforderung zur Übernahme der Beschäftigten von Neuwied nach Andernach umzusetzen. Da auch die Andernacher Belegschaft diese Lösung mitträgt, spricht Eulenbach von einem „Höchstmaß an Solidarität", das größten Respekt verdiene. Der Gewerkschafter spricht in diesem Zusammenhang von einer „Rasselstein-Kultur". Dank ihrer Geschlossenheit und ihres hohen Organisationsgrades könne die Belegschaft Konzernentscheidungen etwas entgegensetzen.
Das sieht auch Wilfried Stenz, der Betriebsratsvorsitzende von TK Rasselstein, so. Er weist aber auch darauf hin, dass man Opfer bringen musste. Und die betreffen einerseits die Auszubildenden. Für sie entfällt die Übernahmegarantie. Künftig wird nur noch rund ein Drittel der Auszubildenden – das sind 20 junge Leute – eines jeden Jahrgangs eine Zukunft beim Unternehmen haben. Ebenfalls betroffen sind diejenigen, die einen befristeten Arbeitsvertrag haben. Diese Kontrakte werden nicht mehr verlängert. Diese Kröte zu schlucken, sei „schon schwer", gibt Stenz zu. Doch Alternativen dazu habe es nicht gegeben. Ansonsten seien die Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und - nehmern „zwar hart umfochten, doch vom Willen zum Kompromiss geprägt" gewesen, so Eulenbach und Stenz.
Wie geht es nun weiter mit dem Neuwieder Werk, dessen Produktionsanlagen sukzessive abgeschaltet werden und das zurzeit noch 114 Beschäftigten Lohn und Brot gibt? (Die übrigen Arbeiter werden bereits für Arbeiten im Andernacher Werk qualifiziert). Spätestens am 30. September 2016 wird es nach den derzeitigen Plänen von ThyssenKrupp keine Produktion mehr an diesem Standort geben. ist das Werk dann dicht. Laut Eulenbach hat Neuwieds Oberbürgermeister Nikolaus Roth zu einem ersten Sondierungsgespräch eingeladen, um Fragen zur Zukunft des Standorts zu erörtern. Man sei übereingekommen, unter Beteiligung der Investitions- und Strukturbank und der Landesregierung einen offiziellen Angebotsprozess für das Werk in Gang zu setzen. Und in diesem Zusammenhang gibt es noch eine gute Nachricht für die Beschäftigten. Sollte eine allen Anforderungen entsprechender Nachfolger, ein sogenannter „Best-Owner" für die Firma gefunden werden, können die Neuwieder Rasselsteiner wählen, bei wem sie beschäftigt werden wollen.