Neuwied - Verliert der Neuwieder Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) seine Gemeinnützigkeit? Nach Informationen unserer Zeitung ist die Steuerfahndung in Marsch gesetzt und prüft derzeit, ob die AWO ihre nicht unerheblichen Mittel auch tatsächlich zu gemeinnützigen und satzungsgemäßen Zwecken verwendet.
Darüber hinaus liegt der Staatsanwaltschaft Koblenz eine Strafanzeige gegen den AWO-Kreisverband und seine verantwortlichen Personen vor. Wie Oberstaatsanwalt Rolf Wissen auf RZ-Anfrage bestätigte, „wird geprüft, gegen welche der angezeigten Personen und wegen welchen Tatbestands Ermittlungen aufzunehmen sind." AWO-Kreisvorsitzender Fredi Winter und Geschäftsführer Rainer Litz weisen die Vorwürfe unterdessen zurück.Von besonderem Interesse dürften in diesem Zusammenhang die Vorgänge rund um die Objekte Marktstraße 12 und Kirchstraße 42 sein. Diese beiden Häuser hatte der AWO-Kreisverband 2009 preisgünstig erworben, um darin zum einen seine Kreisgeschäftsstelle unterzubringen und zum anderen, um eine Gaststätte einzurichten und zu verpachten. AWO-Geschäftsführer Rainer Litz stellt dies als völlig normalen Vorgang innerhalb der Vermögensverwaltung des Vereins dar. Andere sehen darin jedoch eine Mittelverwendung, die nicht gemeinnützig sein kann. So beschaffte die Arbeiterwohlfahrt für rund 450 000 Euro eine Zehn-Hektoliter-Brauanlage, mit der seitdem das Martkbräu-Bier hergestellt wird. Rainer Litz bestreitet zwar die Höhe des Anschaffungspreises, räumt aber ein, dass diese Anlage zu einem monatlichen Mietpreis von 250 Euro verpachtet sei. Mithin würde sich diese Investition in etwa 150 Jahren für die AWO amortisieren.
Ähnlich verhält es sich mit den Räumen der Gaststätte selbst. Insgesamt nutzt die AWO-Tochtergesellschaft Disa GmbH für den Betrieb der Gaststätte 745 Quadratmeter, einschließlich der Kellerräume, in denen sich die Brauanlage befindet. Als Mietpreis haben die AWO und die Disa GmbH 500 Euro im Monat (einschließlich voller Möblierung) vereinbart. Legt man nur die Gaststättenräume im Erdgeschoss zugrunde, kommt man auf einen Quadratmeterpreis von 1,25 Euro. Konditionen, von denen andere Gastwirte nur träumen können. Wie gemeinnützig diese Preispolitik ist, dürfte nun auch Gegenstand der Ermittlungen der Steuerbehörden sein.
Die Strafanzeige, die der Staatsanwaltschaft vorliegt, legt den Verantwortlichen nicht nur Steuerhinterziehung zur Last, sondern auch Untreue, Betrug und sittenwidrige Schädigung des AWO-Kreisverbands.
Nachfolgend eine Zusammenfassung der wesentlichen Anschuldigungen und der jeweiligen Stellungnahmen der AWO:
1 Vermietung Marktbräu: Für 500 Euro im Monat vermietet der AWO-Kreisverband die voll möblierte Gaststätte Marktbräu an die Disa GmbH, die zum Unternehmensverbund der Arbeiterwohlfahrt gehört. Dass dies kein marktüblicher Mietzins ist, ist im Vertrag sogar vermerkt. Wie Geschäftsführer Rainer Litz erläutert, habe man bewusst keinen externen Pächter genommen, um zu verhindern, dass dieser nach kurzer Zeit bereits schließen muss. „Wir wollten die Gaststätte erst einmal am Markt etablieren", sagt Litz auf RZ-Anfrage. Der überaus günstige Mietpreis darf laut Vertrag für maximal drei Jahre gelten. Diese drei Jahre sind in zwei Wochen vorüber. Wie hoch die Miete danach sein wird, wollte Litz nicht sagen. Auf die Frage, ob dann ein marktüblicher Mietzins verlangt werde, erklärte er, er kenne den marktüblichen Preis nicht. Auch eine Marktverzerrung wollte der Geschäftsführer nicht erkennen. Er wisse zudem nicht, was andere Gastwirte an Miete zahlen müssen. Der Rechtsanwalt, der im Auftrag seines Mandanten die Strafanzeige gestellt hat, geht davon aus, dass die AWO aufgrund des Mietpreises auf jährliche Einnahmen von rund 46 000 Euro verzichtet.
2 AWO Arbeit: Was die Tochtergesellschaft AWO Arbeit betrifft, so geht es um die Frage, ob diese noch zahlungsfähig ist und ob es gerechtfertigt war, dass die AWO die wirtschaftlich angeschlagene Tochter durch fortwährende Darlehensgewährung am Leben erhalten hat. In der Strafanzeige wird der Vorwurf erhoben, eine Darlehensgewährung an ein nicht solventes Unternehmen sei eine verdeckte Gewinnausschüttung und gemeinnützigkeitsschädlich. Tatsächlich weist die Bilanz der AWO Arbeit für 2011 einen „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 997 422,63 Euro" aus. Kreisvorsitzender Fredi Winter erklärt dazu, man habe der gemeinnützigen GmbH Darlehen gewährt, um die Arbeitsplätze der AWO Arbeit zu erhalten. Zwischenzeitlich hat sich das Unternehmen vom defizitären Bereich der Versandbeutelherstellung verabschiedet (die RZ berichtete).
3 Ankauf eines Hauses: Im Jahr 2007 hat der AWO-Kreisverband für 200 000 Euro ein Haus in Kruft erworben, das der Ehefrau des Vorstandsmitglieds Kentsch gehörte. Angesichts einer Grundstücksgröße von 170 Quadratmetern und des Baujahres 1962 geht es hier um die Frage, ob der Vorstand den Kreisverband durch einen überteuerten Kaufpreis geschädigt hat. Laut Gutachterausschuss ist das Grundstück 11 900 Euro wert, sodass für das reine Haus 188 100 Euro gezahlt wurden. Rainer Litz erläutert hierzu, es handele sich um ein Dreifamilienhaus, das in besonderer Weise für Zwecke der AWO-Suchthilfe geeignet sei. Es gebe keinen Grund, warum Eigentum eines Vorstandsmitglieds vom Ankauf durch den Verein ausgeschlossen sein soll. Litz räumt allerdings ein, dass vor Ankauf kein Wertgutachten erstellt wurde.
4 Strafzettel: Vorsitzender Fredi Winter hat zwei Mal Strafzettel, die er wegen Falschparkens erhalten hatte, vom AWO-Kreisverband bezahlen lassen. Dies hat er auf RZ-Anfrage eingestanden. In einer schriftlichen Stellungnahme verweist die AWO darauf, der Umstand, dass dies nur zwei Mal geschehen sei, belege den beim AWO-Kreisverband Neuwied e.V. üblichen Modus, dass Fahrzeugführer „Knöllchen" selbst bezahlten. Hierzu muss man wissen, dass es für den Vorstand reservierte Plätze in der Tiefgarage des Hauses gibt, die Winter allerdings nicht nutzt, weil er aufgrund der engen Platzverhältnisse dort Angst um seinen Wagen habe, wie er berichtet.
5 Geschenk: Dem AWO-Kreisverband wird zur Last gelegt, dass für den Vorsitzenden Winter ein Füllfederhalter im Wert von rund 100 Euro beschafft wurde. Auf der Quittung wurde dieser als „Büromaterial" ausgewiesen. Der Verein bestreitet dabei lediglich den Wert des Füllers, weist aber darauf hin, Fredi Winter sei seit 25 Jahren ehrenamtlich für die AWO tätig. Die Finanzverwaltung sieht hingegen nur Geschenke bis zu 40 Euro als gemeinnützigkeitsunschädlich an.
Von unserem Redakteur Marcelo Peerenboom